Wahrnehmung und Affordanz
Nutzer:innen nehmen ein Interface nicht objektiv wahr, sondern interpretieren es subjektiv. Gute Usability beginnt mit klaren Affordanzen und wahrnehmungspsychologisch fundierter Gestaltung.
Definition Affordanz
Eine Affordanz beschreibt die wahrgenommene Möglichkeit zur Interaktion, die ein Objekt bietet – unabhängig davon, ob diese tatsächlich gegeben ist (nach Norman, 1988).
Affordanzen in der Mensch-Computer-Interaktion
Digitale Interfaces verfügen nicht über physische Eigenschaften wie Griff oder Gewicht. Ihre Interaktionsmöglichkeiten müssen visuell vermittelt werden. Affordanzen entstehen etwa durch:
- Form: Ein Button mit Tiefe oder Schatten lädt zum Klicken ein.
- Symbolik: Ein Papierkorb steht für Löschen – auch ohne Erklärung.
- Position: Schließen-Symbole in der Ecke folgen konventionellen Mustern.
- Bewegung: Hover-Effekte oder Animationen deuten auf Reaktion hin.
Ein Interface ist dann gut gestaltet, wenn Nutzer:innen nicht nachdenken müssen, was klickbar ist – sie sehen es intuitiv.
Wahrgenommene vs. tatsächliche Affordanz
Es reicht nicht, dass ein Button klickbar ist – er muss auch so aussehen. Andernfalls bleibt das Interface unsichtbar.
Wahrnehmung im UX-Kontext
Das menschliche Gehirn strukturiert visuelle Informationen nach bekannten Mustern. Diese Gestaltprinzipien helfen beim UX-Design:
- Nähe: Stehen Elemente eng beieinander, werden sie als zusammengehörig interpretiert.
- Ähnlichkeit: Gleiche Farben oder Formen signalisieren gleiche Funktion.
- Geschlossenheit: Unvollständige Formen (z. B. Umrandungen) werden als ganze Flächen wahrgenommen.
- Kontinuität: Linien oder Reihen führen visuell durch die Oberfläche.
Diese Prinzipien bilden die Grundlage für visuelle Hierarchie, Orientierung und Navigierbarkeit.
Gestaltung überzeugender Affordanzen
Statt Bulletpoints eine narrative Darstellung:
Ein gutes Interface nutzt etablierte visuelle Konventionen. Ein Link ist in der Regel blau und unterstrichen – und sollte auch so erscheinen. Wird diese Konvention gebrochen, etwa durch grauen Text ohne Unterstreichung, bleibt die Affordanz verborgen. Nutzer:innen müssen raten, was interaktiv ist. Das erhöht die kognitive Belastung und senkt die Usability.
Auch Rückmeldung spielt eine wichtige Rolle: Ein Button, der beim Klicken keine visuelle oder auditive Reaktion zeigt, wird als unzuverlässig wahrgenommen – selbst wenn er technisch funktioniert.
Falsche Affordanzen sind besonders kritisch. Wenn ein Textelement wie ein Link aussieht, aber keiner ist, führt das zu Frustration. Umgekehrt können versteckte Affordanzen – etwa nicht gekennzeichnete Drag-and-Drop-Funktionen – zur Fehlbedienung führen.
Praxisbeispiel: Link-Gestaltung
Ein Textlink, der aussieht wie Fließtext, ohne Farbe, Unterstreichung oder Hover-Effekt, wird häufig übersehen.
Besser: Der Link wird visuell hervorgehoben (z. B. primäre Farbe, Unterstreichung beim Hover, veränderter Cursor) und kontextuell platziert (z. B. innerhalb eines Navigationsmenüs).
Fazit
Affordanzen und Wahrnehmungsmuster sind kein „ästhetisches Extra“, sondern zentral für die Gebrauchstauglichkeit digitaler Produkte.
UX-Design muss gezielt auf visuelle Klarheit, semantische Konsistenz und wahrnehmbare Interaktion setzen – damit Systeme intuitiv und fehlerarm nutzbar werden.
Merksatz
Gute Interfaces müssen nicht erklärt werden – sie zeigen, was sie können.
Zuletzt geändert: 17. Juni 2025