Methoden triangulieren
In der UX-Forschung reicht eine einzelne Methode oft nicht aus, um das komplexe Zusammenspiel aus Nutzerverhalten, Wahrnehmung und Kontextbedingungen vollständig zu erfassen. Methodentriangulation bietet hier einen systematischen Ansatz, um verschiedene Perspektiven zu kombinieren – mit dem Ziel, ein valideres, differenzierteres und robusteres Verständnis zu gewinnen.
Ein klassisches Beispiel: Eine quantitative Auswertung zeigt, dass nur 30 % der Nutzer:innen eine bestimmte Funktion abschließen. Doch warum das so ist, lässt sich erst durch qualitative Interviews verstehen – etwa weil Nutzer:innen einen zentralen Button als inaktiv wahrnehmen. Erst die Kombination beider Ansätze ergibt ein vollständiges Bild und fundierte Handlungsoptionen.
Was bedeutet „Triangulieren“?
Der Begriff stammt ursprünglich aus der Geodäsie: Um eine Position exakt zu bestimmen, werden drei Bezugspunkte verwendet. In der UX bedeutet Triangulation analog: Ein Forschungsthema wird durch unterschiedliche methodische Zugänge beleuchtet, um Verzerrungen zu vermeiden und die Validität der Erkenntnisse zu erhöhen.
Das ist besonders relevant in Projekten mit hohem Interpretationsspielraum – etwa bei emotional aufgeladenen Produkten (z. B. in der Gesundheits-App-Forschung), bei verschiedenen Nutzergruppen oder bei stark kontextabhängigen Anwendungen.

Warum Triangulation in der UX?
Die Anwendung unterschiedlicher Methoden zahlt sich in mehrfacher Hinsicht aus:
- Sie erhöht die Validität, da sich Befunde aus mehreren Quellen gegenseitig bestätigen können.
- Sie hilft, methodenbedingte Biases auszugleichen – z. B. subjektive Verzerrung in Interviews oder rein zahlenbasierte Sicht bei Analytics.
- Sie liefert sowohl Erklärungen (Warum?) als auch Messwerte (Wie viel?) – z. B. durch die Kombination aus Verhaltensdaten und Nutzerberichten.
- Sie erleichtert datenbasierte Kommunikation mit Stakeholdern, da unterschiedliche Evidenzformen angesprochen werden (Zahlen, Zitate, visuelle Muster).
Praxisbeispiel: In einem Redesign-Projekt für ein Kundenportal wurden zuerst Hotjar-Heatmaps analysiert (starkes Scrollverhalten im mittleren Seitenbereich), dann gezielt Interviews mit typischen Nutzer:innen geführt. Dort stellte sich heraus: Nutzer:innen suchten eine Login-Funktion, die ursprünglich oben positioniert war – sie hatten sich an die alte Position gewöhnt. Die Heatmap zeigte das Was, das Interview erklärte das Warum.
Typen der Triangulation (nach Denzin)
Der Soziologe Norman Denzin hat vier zentrale Formen der Triangulation beschrieben, die sich auch im UX-Bereich bewährt haben:
-
Methodentriangulation
Kombination von qualitativen und quantitativen Methoden.
Beispiel: Usability-Test mit anschließender SUS-Befragung. -
Datentriangulation
Nutzung verschiedener Datenquellen oder Nutzergruppen.
Beispiel: Vergleich von Erkenntnissen aus internen Nutzern (Callcenter) und externen Kunden. -
Investigator-Triangulation
Mehrere Forschende analysieren die gleichen Daten.
Beispiel: Zwei Personen codieren Interviewaussagen unabhängig voneinander und gleichen Ergebnisse ab. -
Theoretische Triangulation
Einbindung unterschiedlicher wissenschaftlicher Perspektiven.
Beispiel: Kombination psychologischer Modelle (mentale Modelle, Framing) mit Design-Theorien (Affordances, Feedback).
Konkrete Anwendungsszenarien
Triangulation ist nicht nur ein theoretisches Konstrukt, sondern hat sich in der Praxis vielfach bewährt:
- Bei der Evaluation eines Features wurden A/B-Tests zur Klickrate mit Interviews zu den Entscheidungsprozessen kombiniert.
- Für die Anforderungserhebung bei einer komplexen Business-Software wurden Shadowing im Feld (Verhalten) mit einer Personas-Entwicklung (Ziele, Bedürfnisse) verbunden.
- Im Rahmen eines UX Audits wurden Expertenurteile (heuristische Evaluation) mit Beobachtungsdaten aus Thinking-Aloud-Protokollen verglichen – und so Fehleinschätzungen reduziert.
Vorteile und Herausforderungen
Vorteile
- Fundiertere Erkenntnisse durch mehrdimensionale Betrachtung
- Robustere Argumentation gegenüber Stakeholdern
- Höhere Nachvollziehbarkeit und Vertrauen in die Ergebnisse
- Förderung von interdisziplinärem Arbeiten im UX-Team
Herausforderungen
- Höherer Zeit- und Ressourcenaufwand für Planung, Durchführung und Auswertung
- Bedarf an methodischer Kompetenz in mehreren Bereichen
- Notwendigkeit zur integrierten Ergebnisinterpretation – insbesondere bei widersprüchlichen Daten
Best Practices für den Methodeneinsatz
- Triangulation frühzeitig planen – bereits bei der Studienkonzeption
- Methoden sollten sich ergänzen, nicht doppeln: z. B. Interviews + Analytics statt zwei Fragebögen
- Ergebnisse strukturiert zusammenführen – z. B. in Mapping-Workshops oder Matrixdarstellungen
- Besonders bei kritischen Entscheidungen (z. B. Launch oder Redesign) bewusst mehrere Perspektiven einholen
Fazit
Methodentriangulation ist mehr als nur eine Kombination von Werkzeugen – sie ist ein strategischer Ansatz, um UX-Entscheidungen auf eine breitere, validere Evidenzbasis zu stellen. Gerade in komplexen Projekten mit vielen Stakeholdern, unterschiedlichen Nutzergruppen oder erklärungsbedürftigen Ergebnissen ist sie ein zentraler Qualitätsfaktor. Wer Triangulation gezielt einsetzt, gewinnt nicht nur Erkenntnisse, sondern auch Vertrauen und Akzeptanz.
Triangulation in der UX-Evaluation
Diese Beiträge untersuchen den gezielten Einsatz mehrerer Methoden in der User-Experience-Forschung. Sie liefern empirische Daten, Fallstudien und theoretische Grundlagen zur Methodenkombination für valide, robuste UX-Erkenntnisse.
A Bermuda Triangle: A Review of Method Application and Triangulation in User Experience Evaluation
Systematische Analyse von 100 UX-Studien zeigt, dass in zwei Dritteln trianguliert wurde – meist Interviews + Fragebögen. Leitet Best Practices zur Kombination qualitativer und quantitativer Methoden ab.
Pettersson, I. M., Lachner, F., Frison, A.-K., Riener, A., & Butz, A. (2018). A Bermuda triangle: A review of method application and triangulation in user experience evaluation. In CHI.
Triangulation in UX studies: Learning from Experience
Studie zu Vor- und Nachteilen der Kombination von qualitativen und quantitativen Daten
Robb, D, Padilla, S, Methven, T, Kalkreuter, B & Chantler, MJ 2017, 'Triangulation in UX studies: Learning from Experience. Triangulating Cognitive Styles with Open Question Survey Responses', Paper presented at Workshop at DIS'17: ACM SIGCHI 2017 Conference on Designing Interactive Systems, Edinburgh, United Kingdom, 10/06/17 - 10/06/17
Triangulation: The Explicit Use of Multiple Methods, Measures, and Approaches
Grundlagentext zur Triangulation im Produktentwicklungsprozess. Zeigt, wie parallele Methodeneinsätze (z. B. Interviews + Supportdaten + Usability-Tests) für starke Argumente sorgen.
Wilson, C. (2006). Triangulation: The explicit use of multiple methods, measures, and approaches. Interactions, 13(6). https://doi.org/10.1145/1167948.1167980
The Effects of Using a Triangulation Approach of Evaluation Methodologies to Examine the Usability of a University Website
Kombination aus heuristischer Evaluation, Fokusgruppen und Usability-Tests in einer Fallstudie zu Website-Redesign. Zeigt, wie sich verschiedene Perspektiven ergänzen.
Smith, D. H., Huang, Z., Preece, J., & Sears, A. (2002). The Effects of Using a Triangulation Approach of Evaluation Methodologies to Examine the Usability of a University Website. In Evaluation of Website Usability.