Remote Usability Testing
Das Remote Usability Testing ist eine Methode zur Untersuchung der Gebrauchstauglichkeit digitaler Produkte, bei der Testpersonen und Testleitende räumlich voneinander getrennt sind. Besonders durch die zunehmende Digitalisierung, hybride Arbeitsformen und spezialisierte UX-Tools hat sich dieser Ansatz in der Praxis etabliert. Statt im klassischen Usability-Labor findet die Erhebung dabei im natürlichen Nutzungskontext der Nutzer:innen statt – etwa auf dem eigenen Smartphone zu Hause, während einer alltäglichen Situation.

Moderiert vs. unmoderiert – zwei Ansätze mit unterschiedlichem Fokus
Grundsätzlich lassen sich zwei Varianten des Remote Testings unterscheiden:
Beim moderierten Remote Testing begleitet ein:e UX-Researcher:in die Testperson live – meist per Zoom oder einem spezialisierten Tool wie Lookback. Aufgaben werden gestellt, Verhalten beobachtet und bei Bedarf Rückfragen gestellt. Diese Form eignet sich besonders gut, wenn der Erkenntnisgewinn auf kognitive Prozesse, Strategien oder Reaktionen zielt.
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Team testet die Checkout-Strecke eines Onlineshops. Während die Testperson ihre Gedanken laut äußert, beobachtet die Moderatorin via Screensharing, an welcher Stelle es zu Irritationen kommt – etwa, wenn Pflichtfelder nicht klar markiert sind oder der Bestellbutton schwer auffindbar ist.
Im Gegensatz dazu läuft das unmoderierte Remote Testing asynchron ab. Die Testperson erhält Aufgaben über eine Plattform (z. B. Maze oder UsabilityHub) und bearbeitet diese eigenständig. Die Interaktion wird aufgezeichnet, anschließend stehen Metriken wie Klickverhalten, Verweildauer oder Heatmaps zur Auswertung bereit. Diese Variante eignet sich besonders für skalierbare Testszenarien mit vielen Teilnehmenden – etwa zur Optimierung von Landingpages oder Navigationselementen.
Vorteile: Skalierbar, flexibel, alltagsnah
Remote Usability Testing bietet eine Vielzahl von Vorteilen. Einer der wichtigsten ist die Rekrutierungsflexibilität: Nutzer:innen können weltweit teilnehmen – ob aus dem Homeoffice, im Café oder unterwegs. Dies erleichtert die Erhebung heterogener Perspektiven, z. B. bei internationalen Produkten.
Darüber hinaus erlaubt das Testen im Alltagskontext eine realitätsnähere Beobachtung. So zeigte eine Studie zur Nutzung einer App für ÖPNV-Tickets, dass die Interaktion im Stehen (Bus- oder Bahnfahrten) zu Fehlbedienungen führte, die im klassischen Labortest nicht sichtbar gewesen wären.
Ein weiterer Vorteil ist die Kosteneffizienz. Reiseaufwand, Raumplanung und technisches Setup entfallen, was insbesondere in agilen Produktzyklen die Testfrequenz deutlich erhöht.
Herausforderungen und Stolpersteine
Trotz aller Vorteile bringt Remote Testing auch spezifische Herausforderungen mit sich:
- Eingeschränkte Kontextwahrnehmung: Gestik, Mimik oder Umgebungsfaktoren lassen sich schwerer erfassen – insbesondere bei unmoderierten Tests.
- Technische Probleme: Instabile Verbindungen, unklare Bildschirmfreigaben oder Mikrofonprobleme können den Ablauf beeinträchtigen.
- Interpretationsrisiken: Ohne Rückfragen lassen sich Missverständnisse schwerer erkennen – etwa wenn eine Nutzerin „abgebrochen“ hat, obwohl nur ein Seitenwechsel vorlag.
Diese Aspekte machen eine gute Vorbereitung und klare Kommunikation unabdingbar.
Empfehlungen aus der Praxis
Ein erfolgreicher Remote-Test beginnt mit einem präzisen Testplan, in dem Zielgruppe, Aufgaben, Plattform und Auswertungsstrategie definiert sind. Vor dem eigentlichen Test empfiehlt sich ein Technik-Check – idealerweise mit einer Testperson aus dem Umfeld. So lassen sich Probleme mit dem Tool (z. B. Pop-up-Blocker oder Kameraeinstellungen) vorab identifizieren.
Während des moderierten Tests gilt: möglichst passiv bleiben. Die Testperson soll frei agieren können – Rückfragen sollten nur klärend, nicht lenkend sein.
Für unmoderierte Tests lohnt es sich, Aufgaben zusätzlich als Video oder Audio bereitzustellen – viele Teilnehmende überlesen schriftliche Instruktionen oder interpretieren sie unterschiedlich.
Ein Rückkanal (z. B. per E-Mail oder Chat) hilft bei technischen Störungen – besonders bei komplexeren Aufgaben wie dem Download oder Login in einen Testbereich.
Geeignete Tools und Plattformen
Moderiertes Remote Testing:
- Zoom, MS Teams oder Google Meet (mit Screensharing und Aufzeichnung)
- Lookback: Speziell für UX-Tests, mit Beobachtermodus und Kommentar-Feature
- UserTesting: Umfangreiche Plattform für moderierte und unmoderierte Sessions
Unmoderiertes Remote Testing:
- Maze: Für Klickpfade, quantifizierbare UX-Metriken, Prototypentests
- UsabilityHub: Fokus auf schnelle Designentscheidungen (First Click, Five Second Test)
- Microsoft Clarity / Hotjar: Ergänzend für Session-Recording & Heatmaps
Fazit: Remote UX-Tests als Standardinstrument
Remote Usability Testing hat sich als effiziente und effektive Methode etabliert, um Nutzungserfahrungen im Alltag abzubilden. Es ermöglicht ein breiteres Nutzerfeedback, reduziert Barrieren in der Durchführung und lässt sich gut in iterative Entwicklungsprozesse integrieren. Seine volle Stärke entfaltet es dort, wo technische, methodische und kommunikative Rahmenbedingungen sorgfältig gestaltet sind – und wo qualitative Tiefenbefunde durch ergänzende Methoden (z. B. Interviews oder Analytics) abgesichert werden.
Remote Usability Testing: Methoden, Systeme und Kontextfaktoren
Diese Beiträge beleuchten unterschiedliche Ansätze und Herausforderungen des Remote Usability Testing – von synchronen und asynchronen Formaten über KI-gestützte Systeme bis hin zu empirisch evaluierten Kontextfaktoren.
Remote Usability Testing to Facilitate the Continuation of Research
Zeigt, wie usability-Methoden für eine mHealth-App während der Pandemie auf Remote-Formate umgestellt wurden, mit Fokus auf Flexibilität und Teilnehmereinbindung.
Sherwin, L. B., Yevu-Johnson, J., Matteson-Kome, M. L., Bechtold, M. L., & Reeder, B. (2022). Remote usability testing to facilitate the continuation of research. MedInfo. https://doi.org/10.3233/SHTI220110
A Test Management System to Support Remote Usability Assessment of Web Applications
Beschreibt ein KI-basiertes Framework, das Gesichtsausdrücke, Blickverhalten und Softwareinteraktion erfasst, um Remote-UX-Tests zu verbessern.
Generosi, A., Villafan, J. Y., Giraldi, L., Ceccacci, S., & Mengoni, M. (2022). A test management system to support remote usability assessment of web applications. Information, 13(10), 505. https://doi.org/10.3390/info13100505
Introducing Asynchronous Remote Usability Testing in Practice
Action-Research-Ansatz zur Einführung asynchroner UX-Tests in einer IT-Organisation, mit Erkenntnissen zur Benutzerbeteiligung und Tool-Wahl.
Pedersen, J. H. H., Sørensen, M., Stage, J., & Høegh, R. T. (2021). Introducing asynchronous remote usability testing in practice: An action research project. In HCI International. https://doi.org/10.1007/978-3-030-85610-6_19
Remote Usability Testing
Überblickskapitel zu synchronen vs. asynchronen Remote-Tests, Tools und methodischen Vor- und Nachteilen im Vergleich zu Labortests.
J. M. Christian Bastien, J. M. C. & Falzone, K. (2022). Remote usability testing. In Usability Testing Handbook. Boca Raton: CRC Press. https://doi.org/10.1201/9780429343490-5