Usability-Tests in der Praxis
Usability-Tests sind eine der wirkungsvollsten Methoden, um die Gebrauchstauglichkeit digitaler Produkte systematisch zu evaluieren. Sie ermöglichen nicht nur die Identifikation konkreter Nutzungsprobleme, sondern fördern auch das Verständnis für Denkweisen und Handlungsmuster der Nutzer:innen. In der Praxis bilden sie eine unverzichtbare Grundlage für evidenzbasierte Designentscheidungen – insbesondere in iterativen Entwicklungsprozessen.
Wie läuft ein Usability-Test ab?
Der Ablauf eines Usability-Tests folgt einem klar strukturierten Muster – von der Zieldefinition bis zur Ableitung konkreter Maßnahmen. In der Planungsphase geht es zunächst darum, zentrale Fragestellungen zu formulieren: „Wird der Anmeldeprozess verstanden?“, „Gibt es Barrieren beim Bestellvorgang?“ oder „Wird die Navigation intuitiv genutzt?“ Daraus ergeben sich Hypothesen, die im Test überprüft werden sollen.
Anschließend werden realitätsnahe Aufgaben entwickelt, etwa: „Stellen Sie sich vor, Sie möchten ein Bahnticket nach Berlin buchen – wie gehen Sie vor?“ Die Formulierung sollte dabei möglichst offen und neutral erfolgen, um keine Lösung zu suggerieren.
Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die Auswahl geeigneter Testpersonen. In der Regel genügen bereits fünf bis acht Teilnehmende, sofern sie die Zielgruppe repräsentieren. So kann etwa eine App zur Essensbestellung gezielt mit Vielbesteller:innen aus dem urbanen Raum getestet werden, während ein B2B-Dashboard andere Anforderungen an die Rekrutierung stellt.
Während der Durchführung beobachten Moderator:in und/oder Beobachter:in das Verhalten – idealerweise wird dieses zusätzlich aufgezeichnet (z. B. per Screenrecording). Ergänzt wird die Sitzung häufig durch Methoden wie das Laut-Denken oder kurze Zwischenfragen („Was erwarten Sie hinter diesem Button?“).
Nach dem Test erfolgt die strukturierte Auswertung: Was lief problemlos? Wo kam es zu Fehlern oder Unsicherheiten? Welche Rückmeldungen wurden gegeben? Daraus lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten – beispielsweise eine Umformulierung von Button-Labels, eine Vereinfachung von Formularfeldern oder eine Umstrukturierung der Navigation.
Moderiert oder unmoderiert? Zwei Varianten im Vergleich
In der Praxis kommen vor allem zwei Varianten zum Einsatz:
Beim moderierten Usability-Test wird die Sitzung aktiv begleitet – meist per Video-Call oder im Testlabor. Dies erlaubt ein vertieftes Verständnis durch gezielte Rückfragen, ist jedoch aufwendiger in Organisation und Durchführung. Ein typischer Fall: Ein UX-Team testet einen Prototyp für ein Versicherungstool mit einer moderierten Session und erfährt dabei, dass Begriffe wie „Beitragssatz“ nicht selbsterklärend sind – obwohl alle Teilnehmenden die Aufgabe technisch korrekt gelöst haben.

Demgegenüber steht der unmoderierte Test, der häufig über spezialisierte Plattformen abläuft. Die Teilnehmenden bearbeiten die Aufgaben selbstständig, während ihre Klicks und Aussagen aufgezeichnet werden. Diese Variante eignet sich vor allem für größere Stichproben und einfache User Flows, etwa die Bewertung von Produktseiten im E-Commerce-Bereich.
Auch Remote-Tests (über Online-Plattformen wie Lookback, Maze oder UsabilityHub) gewinnen zunehmend an Bedeutung – nicht nur pandemiebedingt, sondern auch aus Effizienzgründen. Besonders in internationalen Projekten oder bei dezentralen Teams ermöglichen sie eine flexible und kostengünstige Durchführung.
Warum Usability-Tests? Ziele und Nutzen
Der primäre Zweck eines Usability-Tests besteht darin, Probleme frühzeitig zu identifizieren, bevor sie in der Produktivphase hohe Kosten verursachen. So lässt sich nicht nur die Effektivität (z. B. durch Erfolgsraten), sondern auch die Effizienz (z. B. durch Zeitmessung) und Zufriedenheit (z. B. durch Interviews oder Fragebögen) messen. Darüber hinaus helfen Usability-Tests dabei, Designhypothesen zu validieren, z. B. ob ein neues Navigationskonzept wirklich verständlicher ist – oder ob es lediglich so wirkt.
Ein weiterer Vorteil: Die Ergebnisse können Stakeholdern gegenüber sehr anschaulich präsentiert werden. Ein kurzes Videobeispiel, in dem mehrere Nutzer:innen denselben Navigationsfehler machen, überzeugt oft mehr als ein reiner Report.
Typische Fehler und wie man sie vermeidet
Ein häufiges Problem ist eine nicht-repräsentative Stichprobe. Wenn nur interne Mitarbeitende oder technikaffine Personen getestet werden, lassen sich keine fundierten Aussagen über die eigentliche Zielgruppe treffen. Ebenso kritisch sind zu komplexe oder suggestive Aufgabenstellungen, die eher das Wissen über den Test als über das Produkt prüfen.
Auch bei der Rollenteilung im Testteam kommt es oft zu Unklarheiten: Moderator:in sollte sich auf die Gesprächsführung konzentrieren, während Beobachter:innen fokussiert dokumentieren – idealerweise strukturiert mit Protokollbögen.
Nicht zu vergessen: Vorabtests (Pilotierungen) helfen, technische Probleme, unklare Formulierungen oder unbrauchbare Aufgaben im Vorfeld zu identifizieren. Und schließlich sollten Aussagen nicht isoliert interpretiert werden – sondern stets im Zusammenhang mit Verhalten, Kontext und, wenn möglich, triangulativen Datenquellen.
Fazit: Usability-Tests als Kerninstrument der UX-Forschung
Usability-Tests sind kein Nice-to-have, sondern ein methodisches Rückgrat nutzerzentrierter Gestaltung. Sie liefern nicht nur konkrete Hinweise zur Optimierung einzelner Elemente, sondern fördern auch ein besseres Verständnis für das Nutzungserleben im Ganzen. Richtig geplant, differenziert durchgeführt und fundiert ausgewertet, tragen sie wesentlich zur Qualität digitaler Produkte bei – evidenzbasiert, praxisnah und mit hoher Wirkung.
Usability-Testing in der Praxis: Methoden, Perspektiven und Tools
Diese Beiträge geben Einblicke in den praktischen Ablauf, die Nutzerwahrnehmung und professionelle Anwendung von Usability-Tests. Sie reichen von methodischen Leitfäden bis zu ethnografischen Analysen der Befundgenerierung.
A Practical Guide to Usability Testing
Beschreibt praxisnah den vollständigen Ablauf eines Usability-Tests – von Zielsetzung über Testdesign, Aufgabenformulierung bis zur Datenauswertung.
Hass, C. (2019). A practical guide to usability testing. In User Experience Research (pp. 117–134). https://doi.org/10.1007/978-3-319-96906-0_6
Users’ Viewpoint of Usability and User Experience Testing Procedure
Bewertet, wie Probanden den Ablauf selbst wahrnehmen. Fokus auf Frustration, Zeitaufwand und Protokolldesign.
Guna, J., Stojmenova-Duh, E., & Pogačnik, M. (2017). Users’ viewpoint of usability and user experience testing procedure. Multimedia Tools and Applications. https://doi.org/10.1007/S11042-016-3898-9
How UX Practitioners Produce Findings in Usability Testing
Ethnografische Analyse des tatsächlichen Ablaufs in Agenturen. Zeigt, wie Befunde „produziert“ statt „gefunden“ werden.
Reeves, S. (2019). How UX practitioners produce findings in usability testing. ACM Transactions on Computer-Human Interaction (TOCHI). https://doi.org/10.1145/3299096