Befragungen & Fragebögen in der UX-Forschung
Befragungen und standardisierte Fragebögen sind zentrale Instrumente der quantitativen UX-Forschung. Sie ermöglichen es, subjektive Einschätzungen von Nutzer:innen systematisch zu erfassen und zu quantifizieren – etwa im Hinblick auf Zufriedenheit, Verständlichkeit, Attraktivität oder wahrgenommene Effizienz. Anders als qualitative Interviews erlauben sie eine standardisierte, vergleichbare und statistisch auswertbare Bewertung von User Experience und Usability.
Stellen wir uns vor: Nach dem Launch einer neuen App-Version möchte ein Produktteam wissen, ob die Navigation als verständlicher empfunden wird als zuvor. Ein kurzer Online-Fragebogen mit standardisierten Skalen wird an Testpersonen verschickt – innerhalb weniger Stunden liegen die Ergebnisse vor. Die neue Version erreicht einen deutlich höheren SUS-Score als die alte. Damit ist nicht nur ein subjektiver Eindruck dokumentiert, sondern eine quantifizierbare Verbesserung belegt.
Wann kommen Fragebögen zum Einsatz?
Fragebögen sind besonders hilfreich nach der Durchführung eines Usability-Tests („Post-Test-Befragung“) oder im Rahmen von Benchmarking-Studien. Auch bei Remote-Tests, bei denen keine direkte Beobachtung möglich ist, bieten sie eine wertvolle Ergänzung zur Verhaltensdatenanalyse. In Mixed-Methods-Designs werden sie häufig mit Interviews, Screenrecordings oder Taskdaten kombiniert, um subjektive und objektive Perspektiven zusammenzuführen.
Ein typisches Szenario: In einem Usability-Test gelingt es fast allen Nutzer:innen, eine bestimmte Aufgabe zu lösen. Doch erst ein anschließender Fragebogen zeigt: Viele empfanden den Prozess als mühsam, unklar oder frustrierend – Hinweise, die sich allein aus dem Verhalten nicht ableiten ließen.

Bekannte UX-Fragebögen in der Praxis
Zu den am weitesten verbreiteten standardisierten Fragebögen zählt die System Usability Scale (SUS). Sie besteht aus zehn Aussagen, die auf einer fünfstufigen Skala von „stimme nicht zu“ bis „stimme voll zu“ bewertet werden – beispielsweise: „Ich fand das System einfach zu bedienen.“ Die SUS ist schnell einsetzbar, auch in sehr knappen Studiensettings, und liefert einen Score zwischen 0 und 100. Ein Score über 70 gilt als Indikator für akzeptable Usability – wobei Kontext und Zielgruppe stets mitgedacht werden sollten.
Wenn es nicht nur um Funktionalität, sondern um das gesamte Nutzungserleben geht, bietet der AttrakDiff-Fragebogen eine feinere Differenzierung. Er arbeitet mit semantischen Gegensatzpaaren wie „technisch – menschlich“ oder „einfach – komplex“ und ordnet diese verschiedenen UX-Dimensionen zu, etwa der hedonischen oder der pragmatischen Qualität. In einem Projekt zur Neugestaltung einer Online-Banking-App konnte so beispielsweise gezeigt werden, dass eine neue, grafisch reduzierte Version zwar effizienter bedienbar war – aber als weniger sympathisch wahrgenommen wurde.
Ein besonders umfangreicher Fragebogen ist der User Experience Questionnaire (UEQ). Er enthält 26 Items mit Polaritätspaaren wie „innovativ – konservativ“ oder „unübersichtlich – übersichtlich“ und deckt sechs UX-Dimensionen ab – darunter Attraktivität, Klarheit und Stimulation. In der Praxis kommt der UEQ häufig zum Einsatz, wenn detaillierte Rückmeldungen zu verschiedenen UX-Aspekten benötigt werden, etwa bei der Evaluation komplexer Webapplikationen oder im Vergleich verschiedener Prototypen.
Auswahl: Welcher Fragebogen für welchen Zweck?
Die Auswahl des geeigneten Instruments hängt vom Untersuchungsziel ab. Wenn es primär um die Gebrauchstauglichkeit geht, ist der SUS eine gute Wahl – er ist kompakt, gut validiert und einfach auswertbar. Geht es hingegen um das Nutzungserleben im weiteren Sinne – etwa bei emotional aufgeladenen Anwendungen, Lernumgebungen oder Lifestyle-Produkten – sind AttrakDiff oder UEQ besser geeignet.
Auch der Kontext spielt eine Rolle: In agilen Sprints mit begrenzter Zeit bietet sich eher ein kurzer Fragebogen an, während in größeren Studien differenzierte Instrumente mehr Erkenntnisgewinn ermöglichen.
Tipps aus der Praxis
In der Anwendung standardisierter UX-Fragebögen gibt es einige Fallstricke zu beachten. Wichtig ist, die Instruktionen klar zu formulieren – Nutzer:innen sollten wissen, worauf sich ihre Einschätzung bezieht. Begriffe und Anker sollten kontextsensibel übersetzt und gegebenenfalls angepasst werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Auch die Integration in den Testablauf ist entscheidend: Wenn ein Fragebogen unmittelbar nach einem Usability-Test vorgelegt wird, sollte sichergestellt sein, dass das Erlebnis noch präsent ist, die Testperson aber nicht überfordert wird.
Erfahrene UX-Researcher:innen setzen zudem auf Triangulation – also die Kombination von Fragebogendaten mit anderen Methoden, etwa Beobachtungen, Interviewzitaten oder Metriken wie Time-on-Task. Auf diese Weise entsteht ein valides, mehrdimensionales Bild der UX.
Fazit
Standardisierte Fragebögen sind ein unverzichtbarer Bestandteil evidenzbasierter UX-Forschung. Sie machen subjektive Wahrnehmungen messbar, ermöglichen Benchmarking und tragen dazu bei, Designentscheidungen fundiert zu begründen. In der Praxis überzeugen sie durch Einfachheit, Vergleichbarkeit und analytische Tiefe – vorausgesetzt, sie werden zielgerichtet, sorgfältig und nutzerzentriert eingesetzt.
Forschung zu UX-Fragebögen und methodischen Standards
Diese Arbeiten analysieren systematisch den Einsatz, die Validität und methodische Herausforderungen von UX-Fragebögen sowie qualitativen und quantitativen UX-Erhebungsmethoden.
Measurement Practices in User Experience (UX) Research: A Systematic Quantitative Literature Review
Diese Studie analysiert die Verwendung von UX-Fragebögen (z.B. SUS, UEQ, NASA-TLX) und kritisiert mangelnde Qualitätssicherung bei der Auswahl und Anwendung dieser Skalen.
Perrig, S., Aeschbach, L. F., Scharowski, N., Von Felten, N., Opwis, K., & Brühlmann, F. (2024). Measurement practices in user experience (UX) research: A systematic quantitative literature review. Frontiers in Computer Science. https://doi.org/10.3389/fcomp.2024.1368860
Applicability of User Experience and Usability Questionnaires
Bewertet 13 UX/Usability-Fragebögen hinsichtlich ihrer Abdeckung relevanter Faktoren. Zeigt, dass kein einzelner Fragebogen alle Nutzerbedürfnisse vollständig abbildet.
Hinderks, A., Winter, D., Schrepp, M., & Thomaschewski, J. (2019). Applicability of user experience and usability questionnaires. Journal of Universal Computer Science, 25(13), 1717–1736. https://doi.org/10.3217/JUCS-025-13-1717
Online Survey Methodology for User Experience Research
Bietet einen methodischen Leitfaden für die Planung und Durchführung hochwertiger Online-Befragungen in UX-Studien.
Callegaro, M., Villar, A., & Sedley, A. (2020). Online survey methodology for user experience research: A framework for utility and quality. In CHI 2020. https://doi.org/10.1145/3334480.3375048
Implicit Bias in UX Research Methods
Thematisiert wie Surveys und Interviews in UX-Forschung implizite Verzerrungen einführen können, insbesondere für marginalisierte Nutzergruppen.
Pereira, N. (2022). Implicit bias in UX research methods. In AHFE International. https://doi.org/10.54941/ahfe1002544
Exploring the Role of Children as Co-Designers
Demonstriert, wie partizipative Methoden genutzt werden können, um kindgerechte UX-Fragebögen zu entwickeln.
Wöbbekind, L., Mandl, T., & Womser-Hacker, C. (2020). Exploring the role of children as co-designers – Using a participatory design study for the construction of a user experience questionnaire. In Advances in Computer-Human Interaction.