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Thinking-Aloud-Methode

Wenn Nutzer:innen mit digitalen Systemen arbeiten, sind ihre Überlegungen, Erwartungen und Zweifel oft unsichtbar. Genau hier setzt die Thinking-Aloud-Methode (deutsch: „Lautes Denken“) an – eine bewährte qualitative Technik, die kognitive Prozesse während der Interaktion zugänglich macht. Sie wird in der UX-Forschung insbesondere im Rahmen von Usability-Tests eingesetzt, um zu verstehen, wie Nutzer:innen Probleme lösen, Entscheidungen treffen und mit Interfaces umgehen.


Was passiert beim Lauten Denken?

In einem Thinking-Aloud-Test werden Testpersonen gebeten, während der Nutzung laut auszusprechen, was sie gerade denken, sehen oder planen. Dies kann etwa so klingen: „Ich suche jetzt nach dem Bestellbutton … hm, das hier könnte er sein – aber irgendwie ist die Farbe nicht so eindeutig.“ Solche Äußerungen liefern nicht nur Informationen über Klickpfade, sondern auch über mentale Modelle, Unsicherheiten und kognitive Hürden.

Die Methode erinnert an ein Live-Kommentar der eigenen Gedankenwelt – ein Fenster in den Moment der Nutzung.

Thinking Aloud
Thinking-Aloud in der Praxis: Eine Testperson verbalisiert ihre Gedanken während der Interaktion – beobachtet von einer UX-Fachkraft.

Varianten der Methode: Simultan oder retrospektiv?

Zwei Vorgehensweisen haben sich etabliert:

Praxisbeispiel: In einem Test für eine Mobilitäts-App äußert ein:e Nutzer:in während des Tests:
„Ich will die Abfahrtszeit ändern … aber hier steht nur ‚Route aktualisieren‘ – ich bin mir nicht sicher, ob das reicht.“
Solche Aussagen weisen auf mögliche Missverständnisse in der Terminologie und Nutzerführung hin – und eröffnen konkrete Ansatzpunkte für Verbesserungen.


Was macht die Methode so wertvoll?

Die Thinking-Aloud-Methode bietet:


Grenzen und Stolpersteine

So wertvoll die Methode ist – sie bringt auch Herausforderungen mit sich:


So gelingt die Umsetzung

Ein strukturierter Ablauf hilft, valide Daten zu erhalten:

  1. Einführung & Instruktion: Erkläre klar, was erwartet wird. Etwa: „Bitte sagen Sie alles, was Ihnen durch den Kopf geht – auch wenn es banal erscheint.“
  2. Erinnerung an das laute Denken: Wenn es still wird, freundlich erinnern: „Was denken Sie gerade?“
  3. Dokumentation & Aufzeichnung: Audio- oder Videoaufnahmen ermöglichen eine spätere Analyse. Notizen sollten wörtliche Zitate enthalten.
  4. Kombination mit Beobachtung & Metriken: Nur im Zusammenspiel entsteht ein vollständiges Bild – z. B. wenn ein Zögern (Metrik) mit einem geäußerten Zweifel („Das Icon sieht nicht klickbar aus“) zusammenfällt.

Anwendungsszenarien


Fazit

Die Thinking-Aloud-Methode ist ein zugängliches, wirkungsvolles Werkzeug, um das Unsichtbare im UX-Kontext sichtbar zu machen. Sie ergänzt quantitative Daten durch tiefe Einsichten in die kognitive Nutzererfahrung – vorausgesetzt, sie wird einfühlsam moderiert, methodisch sauber umgesetzt und sinnvoll in den Forschungsprozess eingebettet.

Think-Aloud in der Usability-Forschung

Diese Studien untersuchen die Anwendung, Wirksamkeit und Varianten der Think-Aloud-Methode (TA) im Usability-Testing – von Meta-Analysen über Machine Learning bis hin zu internationalen Praxisbefragungen.

Thinking about Thinking Aloud: An Investigation of Think-Aloud Methods in Usability Testing

Vergleich von Concurrent und Retrospective Think-Aloud. Zeigt, dass CTA mehr Usability-Probleme aufdeckt, ohne die Nutzererfahrung zu beeinträchtigen.

Alhadreti, O., & Mayhew, P. J. (2016). Thinking about thinking aloud: An investigation of think-aloud methods in usability testing. https://doi.org/10.14236/EWIC/HCI2016.101

DOI

Concurrent or Retrospective Thinking Aloud in Usability Tests? A Meta-Analytic Review

Meta-Analyse von 29 Studien. CTA liefert mehr spontane Probleme, RTA hingegen mehr Erklärungen und Designempfehlungen.

Hertzum, M. (2024). Concurrent or retrospective thinking aloud in usability tests? A meta-analytic review. ACM Transactions on Computer-Human Interaction. https://doi.org/10.1145/3665327

DOI

Automatic Detection of Usability Problem Encounters in Think-Aloud Sessions

ML-gestützte Analyse von Sprachmerkmalen zur automatisierten Problemidentifikation in TA-Protokollen.

Fan, M., Li, Y., & Truong, K. N. (2020). Automatic detection of usability problem encounters in think-aloud sessions. https://doi.org/10.1145/3385732

DOI

The Crowd Thinks Aloud: Crowdsourcing Usability Testing with the Thinking Aloud Method

Zeigt, dass TA-Tests auch mit Crowd-Teilnehmenden (asynchron) valide durchführbar sind – geeignet für skalierbare UX-Studien.

Gamboa, E., Galda, R., Mayas, C., & Hirth, M. (2021). The crowd thinks aloud: Crowdsourcing usability testing with the thinking aloud method. In HCI International. https://doi.org/10.1007/978-3-030-90238-4_3

DOI

Exploring Think-Alouds in Usability Testing: An International Survey

Umfrage mit 207 UX-Forschenden weltweit zur Praxisnutzung von TA. Zeigt hohe Anwendung, aber divergente Praktiken.

McDonald, S., Edwards, H., & Zhao, T. (2012). Exploring think-alouds in usability testing: An international survey. IEEE Transactions on Professional Communication. https://doi.org/10.1109/TPC.2011.2182569

DOI