Personas & Szenarien erstellen
Personas und Szenarien sind bewährte Instrumente des nutzerzentrierten Designs, die dabei helfen, komplexe Nutzergruppen greifbar zu machen und konkrete Nutzungskontexte systematisch zu durchdenken. Anders als rein abstrakte Zielgruppenbeschreibungen basieren Personas und Szenarien auf qualitativen und quantitativen Daten – etwa aus Interviews, Beobachtungen oder Analytics – und bieten ein alltagsnahes, empathisches Verständnis der Nutzerrealität.
Personas – Datenbasierte Stellvertreter realer Nutzer:innen
Eine Persona ist kein erfundener Charakter zur Dekoration von Präsentationen, sondern ein evidenzbasiertes Modelltyp, das typische Bedürfnisse, Erwartungen und Verhaltensmuster einer Nutzergruppe verdichtet abbildet.
Stellen Sie sich vor: Sie entwickeln eine App zur Verwaltung von Medikamentenplänen. Ihre Zielgruppe umfasst ältere Menschen mit chronischen Erkrankungen. Statt mit dem abstrakten Begriff „Senior:innen“ zu arbeiten, erstellen Sie eine Persona wie „Karl, 72, ehemaliger Handwerker, nutzt ein Tablet seiner Tochter, hat Angst vor technischen Fehlern und schreibt sich lieber alles auf“. Diese konkrete Figur hilft, funktionale und emotionale Anforderungen im Designprozess durchgängig mitzudenken.
Typische Bestandteile einer Persona sind:
- Name, Alter, Beruf, soziale Rolle
- Ziele und Nutzungsmotive
- Technische Vorerfahrung und Kompetenzen
- Typisches Nutzungsverhalten
- Frustrationen („Ich habe Angst, etwas falsch zu machen“) und Zitate
- Kontextbilder oder Symbolfotos zur Visualisierung
Wichtig: Eine Persona muss nicht real existieren – aber sie muss realistisch sein. Ihre Glaubwürdigkeit entsteht aus der Kombination empirischer Erkenntnisse.
Szenarien – Nutzungsgeschichten mit Erkenntnispotenzial
Während Personas die handelnde Person beschreiben, zeigen Szenarien, was diese Person in einer bestimmten Situation mit dem Produkt erlebt. Sie helfen, Aufgaben, Nutzungskontexte und emotionale Hürden realitätsnah zu verstehen – oft in narrativer Form, etwa als kurze Alltagsszene.
Beispiel:
„Maria, 34, ist berufstätige Mutter und nutzt die Kita-App morgens in der Straßenbahn, um das Mittagessen für ihre Tochter auszuwählen. Da der Login regelmäßig zurückgesetzt wird, muss sie jedes Mal neu ein Passwort eingeben – was mit einer Hand auf dem Smartphone kaum zu bewältigen ist.“
Dieses Szenario macht deutlich, welche Einschränkungen reale Kontexte mit sich bringen – etwa eingeschränkte Bedienbarkeit, Zeitdruck oder Ablenkung – und schafft so eine evidenzbasierte Grundlage für Designprioritäten.

Vorteile im UX-Prozess
Der Nutzen von Personas und Szenarien liegt vor allem darin, abstrakte Anforderungen zu konkretisieren und das Designteam auf eine gemeinsame Nutzerperspektive einzuschwören. Sie helfen:
- Selbstzentrierung zu vermeiden („Ich würde es so machen…“)
- Prioritäten im Funktionsumfang zu setzen („Was braucht Lisa wirklich?“)
- Empathie zu fördern, besonders in interdisziplinären Teams
- Storyboards, Testaufgaben und Journeys abzustimmen
In agilen Teams werden Personas oft mit User Stories oder Jobs-to-be-Done kombiniert – etwa:
„Als Anna würde ich mich nicht trauen, auf den Jetzt kaufen-Button zu drücken, weil ich nicht weiss, ob dann schon der Bestellvorgang ausgelöst wird.“

Wie entstehen gute Personas und Szenarien?
Die Qualität steht und fällt mit der Datenbasis. Ein strukturierter Ablauf umfasst:
- Datenerhebung: Interviews, Beobachtungen, Support-Anfragen, Analytics
- Mustererkennung: Segmentierung, Clusteranalyse, typologische Ableitung
- Persona-Erstellung: Verdichtung der Profile mit narrativen Elementen
- Szenarien formulieren: Alltagsnahe Nutzungsgeschichten mit Ziel, Kontext und Herausforderung
- Abgleich mit Stakeholdern: Validierung durch Team, Produktverantwortliche, Kundensupport
Praxisbeispiel:
Ein FinTech-Unternehmen analysierte Chat-Verläufe und Hotline-Anfragen, um zu verstehen, warum Nutzer:innen ihr Konto kündigten. Das Resultat: Zwei neue Personas mit Szenarien zur Kontoeröffnung unter Stress, die später zur Vereinfachung des Onboardings führten – inklusive prominenter Live-Chat-Hilfe.
Tipps aus der Praxis
- Personas sollten lebendig, aber kein Theater sein: keine Karikaturen, keine Klischees.
- Szenarien lassen sich hervorragend mit echten Zitaten aus Interviews anreichern.
- In länger laufenden Projekten lohnt sich die regelmäßige Aktualisierung.
- Ergänzende Methoden wie Empathy Maps oder Behavioral Archetypes bieten zusätzliche Tiefe.
Fazit
Personas und Szenarien sind kein „nice to have“, sondern tragende Säulen nutzerzentrierter Produktentwicklung. Sie machen Nutzererwartungen greifbar, schaffen Empathie und helfen, Designentscheidungen evidenzbasiert zu begründen. Wer sie nicht nur einmalig, sondern kontinuierlich einsetzt und auf empirische Daten stützt, schafft die Grundlage für wirklich relevante User Experience.
Personas und Szenarien im UX-Design
Diese Beiträge zeigen, wie Personas und szenariobasierte Ansätze in unterschiedlichen Anwendungsfeldern – von Bildung bis Public Health – eingesetzt werden, um nutzerzentrierte Gestaltungsprozesse zu unterstützen und Ideen zu generieren.
Scenario-Based Persona for Specific Learning Difficulties
Nutzt kombinierte Personas-Szenarien zur Gestaltung von Lernhilfen für Kinder mit Dyslexie – inkl. Co-Design und visueller Darstellung.
AlSabban, M., Alorij, S., Al-Shamrani, G., & Alharbi, O. (2020). Humanistic co-design for specific learning difficulties using scenario-based personas. In HCI International. https://doi.org/10.1007/978-3-030-60149-2_3
Scenarios, Personas and User Stories in Public Health
Verbindet ethnografische Interviews mit UX-Design im Gesundheitsbereich. Betont realitätsnahe Szenarien.
Turner, A. M., Reeder, B., & Ramey, J. (2013). Scenarios, personas and user stories. Journal of Biomedical Informatics, 46(4), 575–584. https://doi.org/10.1016/j.jbi.2013.04.006
Personas and Scenarios: Design Tool or Communication Device?
Kritische Reflexion aus einem EU-Forschungsprojekt – zeigt Nutzen und Grenzen als Verständigungsmittel für Stakeholder.
Gudjonsdottir, R., & Lindquist, S. (2008). Personas and scenarios: Design tool or a communication device? Proceedings of the 8th International Conference on Designing Cooperative Systems, COOP 2008, 165-176.
Enhancing Personas with Their Main Scenarios
Entwickelt visuell angereicherte Persona-Dokumente mit Kontextszenarien. Fokus auf Nutzbarkeit im Unternehmen.
Valls, A., Garreta-Domingo, M., & López, M. (2011). Enhancing personas with their main scenarios. In HCI International. https://doi.org/10.1007/978-3-642-21602-2_16
Facilitating Idea Generation Using Personas
Innovativer Einsatz von Personas zur Ideenfindung. Kombiniert ethnografische Daten mit Szenario-basiertem Brainstorming.
Yu, D.-J., & Lin, W.-C. (2009). Facilitating idea generation using personas. In Human Centered Design. https://doi.org/10.1007/978-3-642-02806-9_44