Cognitive Walkthroughs
Cognitive Walkthroughs sind ein bewährtes, expertenbasiertes Verfahren zur systematischen Evaluation digitaler Benutzeroberflächen – mit einem besonderen Fokus auf die kognitiven Prozesse unerfahrener Nutzer:innen. Im Gegensatz zur heuristischen Evaluation, die sich auf allgemeine Usability-Prinzipien stützt, verfolgt der Cognitive Walkthrough einen aufgabenorientierten Ansatz: Expert:innen prüfen Schritt für Schritt, ob ein:e typische:r Nutzer:in eine bestimmte Aufgabe intuitiv und ohne fremde Hilfe ausführen könnte.
Ziel dieser Methode ist es, Schwachstellen in der Benutzerführung, Unklarheiten bei Interaktionen oder fehlende Rückmeldungen frühzeitig aufzudecken – idealerweise bereits in der Prototypenphase, bevor Nutzertests mit realen Personen erfolgen.
Wie funktioniert ein Cognitive Walkthrough?
Die Methode folgt einer klar strukturierten Abfolge:
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Definition von Zielgruppe und Aufgaben
Zunächst wird festgelegt, welche Persona (z. B. eine neue Kundin ohne technisches Vorwissen) untersucht werden soll. Dazu werden typische Aufgaben ausgewählt, etwa: „Ein Kundenkonto registrieren“ oder „Einen Artikel im Onlineshop zum Warenkorb hinzufügen“. -
Beschreibung der Soll-Handlungsfolge
Für jede Aufgabe wird dokumentiert, welche Schritte zur Zielerreichung notwendig sind. Diese Idealpfade dienen als Referenz für die spätere Bewertung. -
Schrittweise Analyse durch Expert:innen
Für jeden Handlungsschritt wird nun systematisch geprüft:- Ist das Ziel an dieser Stelle für die Nutzer:in erkennbar?
- Weiß sie, welche Aktion erforderlich ist?
- Ist die entsprechende Interaktion auf dem Interface leicht auffindbar?
- Erhält sie nach der Aktion eine verständliche Rückmeldung?
Beispiel: Eine Nutzerin möchte ihr Passwort ändern. Erkennt sie auf der Profilseite sofort, dass sich diese Option hinter dem Zahnrad-Symbol verbirgt? Ist das Label eindeutig formuliert? Erfolgt nach der Änderung eine klare Bestätigung wie „Ihr Passwort wurde erfolgreich aktualisiert“?

- Dokumentation von Problemen
Alle Stellen, an denen die Handlungskette unterbrochen wird, werden notiert – inklusive Beschreibung des Problems, vermuteter Ursache und möglicher Verbesserungsidee.
Typische Fragestellungen in der Praxis
In der Analysephase orientieren sich Expert:innen an Leitfragen wie:
- Erkennt die Nutzer:in auf Anhieb, was sie an dieser Stelle tun kann oder soll?
- Ist klar, welches Interface-Element sie dafür verwenden muss?
- Wirkt das Interface erwartungskonform (z. B. folgt ein „Zurück“-Button der üblichen Positionierung)?
- Wird nach einer Aktion deutlich, ob diese erfolgreich war oder nicht?
Diese Fragen helfen, den Fokus gezielt auf mentale Modelle, Orientierung und Feedbackprozesse zu legen – besonders relevant für Nutzer:innen, die das System zum ersten Mal verwenden.
Praxisbeispiel: Onboarding in einer Banking-App
Ein UX-Team analysiert das Onboarding einer neuen mobilen Banking-App. Eine typische Aufgabe lautet: „Eröffne ein neues Sparkonto.“ Im Walkthrough wird deutlich, dass das Label „Produkt hinzufügen“ für viele Nutzer:innen unverständlich ist. Ebenso fehlt nach der Kontoeröffnung ein visuelles Feedback – die Nutzer:innen landen kommentarlos auf dem Dashboard. Die Expert:innen empfehlen eine Umbenennung („Neues Konto eröffnen“) sowie eine kurze Bestätigungsmeldung („Ihr Sparkonto wurde eingerichtet – jetzt starten“).
Vorteile
Cognitive Walkthroughs sind besonders nützlich, wenn…
- das Produkt sich an Erstnutzer:innen oder komplexe Anwendungsfälle richtet,
- in frühen Designphasen noch keine Nutzerdaten vorliegen, aber trotzdem eine erste UX-Evaluation erfolgen soll,
- bestimmte Aufgaben besonders kritisch sind – z. B. eine Zahlung, ein Sicherheitsdialog oder ein Abschlussprozess.
Sie lassen sich schnell durchführen, benötigen keine Proband:innen und erzeugen strukturierte, handlungsorientierte Erkenntnisse.
Grenzen und Empfehlungen
Ein zentraler Kritikpunkt betrifft die Subjektivität der Einschätzungen: Expert:innen beurteilen aus ihrer Perspektive, was „verständlich“ oder „erkennbar“ ist. Deshalb empfiehlt es sich, Cognitive Walkthroughs im Team durchzuführen und unterschiedliche Sichtweisen abzugleichen.
Die Methode ersetzt keine echten Usability-Tests, liefert aber eine fundierte Vorauswahl kritischer Stellen und ist ideal als Vorbereitung auf Nutzerstudien oder als ergänzendes Werkzeug zur heuristischen Evaluation.
Fazit
Cognitive Walkthroughs sind eine ökonomische und zugleich kognitiv fundierte Methode, um die Verständlichkeit und Erlernbarkeit digitaler Interfaces zu prüfen. Sie machen mentale Stolpersteine sichtbar, bevor reale Nutzer:innen mit dem System interagieren – und leisten so einen wichtigen Beitrag zur präventiven Usability-Sicherung.
Forschung zur Cognitive-Walkthrough-Methode im UX-Kontext
Diese Beiträge zeigen unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten der Cognitive-Walkthrough-Methode in der Usability-Forschung, sowohl in Kombination mit anderen Verfahren als auch im Rahmen empirischer Studien.
User Experience Evaluation Using the Cognitive Walkthrough Method
Bewertet die UX einer Hochschulwebsite anhand von Task-Szenarien mit Fokus auf Effektivität, Effizienz und Nutzerzufriedenheit.
Widya Nandhi, C. P. M., Irianto, A. B. P., Nastiti, P., Marsella, E., & Wibisono, Y. P. (2022). User experience evaluation using the cognitive walkthrough method. ACM Proceedings. https://doi.org/10.1145/3535782.3535814
Usability Evaluation on Website Using the Cognitive Walkthrough Method
Erkennt Interface-Probleme (z. B. unklare Schriftgrößen, Navigationsfehler) mithilfe von Walkthroughs mit 10 Testpersonen.
Sugiarti, Y., Nurmiati, E., Hanifah, S. R., et al. (2023). Usability evaluation on website using the cognitive walkthrough method. IEEE Proceedings. https://doi.org/10.1109/citsm60085.2023.10455564
Integrating Heuristic Evaluation and Cognitive Walkthrough in Usability Evaluation of Mobile Application
Kombiniert Cognitive Walkthrough mit Heuristik nach Nielsen für tiefgehende Analyse einer mobilen Anwendung.
Fitria, R. (2024). Integrating heuristic evaluation and cognitive walkthrough in usability evaluation of mobile application. Journal of Applied Informatics & Engineering Applications. https://doi.org/10.59934/jaiea.v3i3.488
Applying Cognitive Walkthrough to Usability Assessment: A Case Study of an Academic Management System
Veranschaulicht anhand eines akademischen Systems die praktische Umsetzung eines Cognitive Walkthroughs inkl. Aufgabenprotokollierung.
Alves, S. V. L., Lima, C., & Alves, E. C. M. (2023). Applying cognitive walkthrough to usability assessment: A case study of an academic management system. In Lecture Notes in Educational Technology. https://doi.org/10.1007/978-981-99-7353-8_24
Cognitive Walk-Through Method (CWM)
Grundlagentext zur Methodik – ideal für Theorieteil und methodologische Reflexion in UX-Studien.
Smith-Jackson, T. L. (2004). Cognitive walk-through method (CWM). In Handbook of Human Factors and Ergonomics Methods. https://doi.org/10.1201/9780203489925-96