Customer Journey Mapping
Customer Journey Mapping ist eine zentrale Methode im nutzerzentrierten Design, um komplexe Nutzungserlebnisse systematisch sichtbar zu machen. Dabei wird die gesamte „Reise“ einer Nutzerin oder eines Nutzers entlang aller Berührungspunkte mit einem Produkt oder Service rekonstruiert – vom ersten Kontakt bis weit über die Nutzung hinaus. Ziel ist es, die Perspektive der Nutzer:innen einzunehmen, um Bruchstellen zu identifizieren, emotionale Verläufe nachzuvollziehen und gezielt Ansatzpunkte für Verbesserungen abzuleiten.
Was ist eine Customer Journey?
Die Customer Journey beschreibt den zeitlichen Verlauf aller Interaktionen einer Person mit einem Angebot. Dabei geht es nicht nur um die eigentliche Nutzung, sondern um die gesamte Beziehungskette: Wie wird ein Produkt entdeckt? Welche Erwartungen bestehen? Welche Hürden treten bei der Nutzung auf – und wie verlaufen Nachkontakt, Support oder Wiederverwendung?
Ein Beispiel:
Eine Nutzerin entdeckt eine App zur Schlafanalyse über eine Anzeige auf Instagram. Sie klickt, wird in den App Store weitergeleitet, lädt die App herunter und startet den Onboarding-Prozess. Bereits in der ersten Nacht kommt es zu einer Verwirrung bei der Interpretation der Schlafphasen. Am nächsten Tag kontaktiert sie den Support – erhält aber nur eine automatisierte Standardantwort. Dieses Beispiel zeigt, wie viele Touchpoints – emotional wie funktional – aufeinander einwirken und sich in der Journey abbilden lassen.
🧭 Customer Journey Map: Schlafanalyse-App
Phase | Touchpoints | Aktionen | Gedanken / Fragen | Emotionen | Pain Points / Chancen |
---|---|---|---|---|---|
1. Aufmerksamkeit | Instagram-Werbung | Nutzerin sieht eine Anzeige mit animierter Grafik zur Schlafverbesserung. | „Klingt interessant – hilft das wirklich?“ | 🟡 Neugierig, leicht skeptisch | Chance: Emotional ansprechende Werbebotschaft zur Motivation nutzen. |
2. Interesse & Conversion | App-Store, App-Bewertungen | Klick auf die Anzeige → Weiterleitung zum App Store → Download | „Scheint gut bewertet – ich probier’s mal.“ | 🟢 Positiv gestimmt | Gefahr: Mangelhafte Store-Kommunikation könnte Vertrauen mindern. |
3. Einstieg & Onboarding | App-Onboarding | Registrierung, Datenschutzhinweise, Einrichtung von Schlafzeiten | „Okay, das ist etwas viel auf einmal.“ | 🟡 Überfordert, aber interessiert | Pain Point: Informationsdichte & fehlende visuelle Klarheit. Chance: Onboarding vereinfachen. |
4. Nutzung (1. Nacht) | Schlaftracking, App UI | Erste Nacht mit getracktem Schlaf, morgendliche Analyse | „Was bedeutet dieser Graph? Tiefschlaf? REM?“ | 🔴 Verwirrt, unsicher | Pain Point: Fehlende Erklärung der Schlafphasen. Chance: Tooltips, Glossar, visuelle Hilfen. |
5. Support & Problemlösung | In-App-Support, E-Mail | Nutzerin kontaktiert Support über App | „Ich verstehe das Ergebnis nicht – Hilfe?“ | 🔴 Frustriert | Pain Point: Standardisierte, unpersönliche Antwort. Chance: Menschlicher Support, FAQ-Verbesserung. |
6. Reflexion & Entscheidung | App-Nutzung in den Folgetagen | Entscheidung: App weiternutzen oder löschen | „Vielleicht ist es doch nichts für mich …“ | 🔴 Enttäuscht oder 🟡 neutral | Chance: Follow-up-Mail, proaktive Hilfe nach Tag 1. |
Wozu Customer Journey Mapping?
Das Ziel einer Journey Map ist es, die Nutzerperspektive nicht nur verbal zu beschreiben, sondern visuell zu durchdringen. Sie hilft Teams, sich von der internen Sichtweise zu lösen und das Nutzungserleben aus Sicht der betroffenen Personen nachzuvollziehen – inklusive Frustrationen, Irritationen, Bedürfnissen und Aha-Momenten. Journey Maps schaffen eine gemeinsame Gesprächsgrundlage, fördern Empathie im Team und ermöglichen fundierte Entscheidungen über Design, Kommunikation oder Prozessgestaltung.
Bestandteile einer Journey Map
Eine vollständige Journey Map enthält typischerweise:
- Persona oder Zielnutzer:in – etwa „Daniel, 34, Berufseinsteiger mit wenig Onlinebanking-Erfahrung“
- Phasen der Reise – z. B. „Recherche → Registrierung → Nutzung → Support → Kündigung“
- Touchpoints – z. B. Website, App, Hotline, Social Media, E-Mail
- Nutzerziele und Erwartungen – was möchte die Person in jeder Phase erreichen?
- Aktionen und Interaktionen – wie handelt sie konkret?
- Emotionen und Frustrationsmomente – idealerweise mit Originalzitaten aus Interviews
- Probleme (Pain Points) und Verbesserungsideen
Ein gutes Mapping ist keine bloße Tabelle – sondern eine empathisch und analytisch gestaltete Visualisierung.
Vorgehen in der Praxis
-
Perspektive festlegen
Wer wird betrachtet (z. B. Neukundin vs. Bestandsnutzer)? Welcher Nutzungskontext steht im Fokus (z. B. Kontoeröffnung, Kündigungsprozess)? -
Daten sammeln
Grundlage sind qualitative und quantitative Quellen: Interviews, Beobachtungen, Support-Tickets, Analytics, Umfragen oder Logdaten. -
Phasen und Berührungspunkte definieren
Welche Stationen durchläuft die Nutzer:in und über welche Kanäle findet Interaktion statt? -
Emotionen, Erwartungen und Frustrationen eintragen
Beispiel: „Ich habe meine Zugangsdaten vergessen, aber es gibt keine einfache Möglichkeit, ein neues Passwort anzufordern.“ -
Sichtbarmachen und teilen
Ob in tabellarischer Form, als Zeitstrahl oder als Poster: Die Journey Map sollte verständlich und anschlussfähig für alle Projektbeteiligten sein.
Tools & Formate
Viele Teams beginnen mit analogen Mitteln: Whiteboards, Haftnotizen und Marker reichen für den Einstieg. Digitale Tools wie Miro, Mural, Smaply, UXPressia oder Figma ermöglichen kollaboratives Arbeiten – oft auch mit vorgefertigten Templates.
Best Practices aus der Praxis
- Starte nicht mit Design, sondern mit echten Nutzungsdaten.
- Halte die Journey übersichtlich – lieber eine Map pro Persona als ein überladenes Megaposter.
- Arbeite mit Originalzitaten aus Interviews, um Authentizität zu bewahren.
- Binde Stakeholder frühzeitig ein – insbesondere aus Support, Vertrieb und Entwicklung.
- Zeige emotionale Ausschläge explizit: Wo ist Frust? Wo Begeisterung?
- Nutze die Journey Map nicht als Endprodukt, sondern als Gesprächsanlass und Hypothesengerüst.
Fazit
Customer Journey Mapping gehört zu den wirkungsvollsten Methoden, um das Nutzungserlebnis systematisch zu analysieren, visuell aufzubereiten und im Team greifbar zu machen. Es verbindet qualitative Einsichten mit struktureller Klarheit – und schafft eine fundierte Grundlage für nutzerzentrierte Verbesserungsprozesse über Abteilungsgrenzen hinweg.
Customer Journey Mapping – Methoden und Anwendungen
Diese Beiträge untersuchen klassische und innovative Formen der Customer-Journey-Methode, von App-gestützten Datenerhebungen bis hin zu physischen, empathieorientierten Darstellungen im Designprozess.
A Customer Journey Mapping Approach with Mobile Application
Stellt eine neue App-gestützte Methode zur quantitativen Datenerhebung für CJM vor und vergleicht diese mit traditionellen ethnografischen Methoden.
Ding, Y., Lattin, J., Buahin, A., & Dweck, G. (2024). A customer journey mapping approach with mobile application. Journal of Mechanical Design. https://doi.org/10.1115/1.4067480
Using Verbatims as a Basis for Building a Customer Journey Map
Nutzt qualitative Kundenäußerungen (Verbatims) statt Interviews zur Identifikation von Touchpoints im Finanzsektor – praktisch und skalierbar.
Moquillaza, A., Falconi, F., Aguirre, J., & Paz, F. (2021). Using verbatims as a basis for building a customer journey map: A case study. In International Conference on Human-Computer Interaction. https://doi.org/10.1007/978-3-030-90176-9_7
The Importance of the Journey Map in the Design of a Playful Interactive-Interface
Zeigt den Einsatz von CJM für interaktive Interfaces und betont die Kombination aus Beobachtungen, Fragebögen und mentalen Modellen.
Torres-Velasco, E., Laureano-Cruces, A. L., De La Cruz-Martinez, G., & Sanchez-Guerrero, L. (2022). The importance of the journey map in the design of a playful interactive-interface. Global Journal of Management and Business Research. https://doi.org/10.34257/gjmbrgvol21is4pg9
Physical Journey Maps: Staging Users’ Experiences to Increase Stakeholders’ Empathy
Entwickelt physisch-interaktive Journey Maps, um Empathie im Unternehmen zu fördern – origineller, praxisorientierter Einsatz.
Lallemand, C., Lauret, J., & Drouet, L. (2022). Physical journey maps: Staging users’ experiences to increase stakeholders’ empathy. CHI EA. https://doi.org/10.1145/3491101.3519630
An Enriched Customer Journey Map
Kombiniert explizite (Fragebögen) und implizite (biometrische) Daten zu einer datengetriebenen, holistischen CJM.
Alvarez, J., Léger, P.-M., Fredette, M., et al. (2020). An enriched customer journey map: How to construct and visualize a global portrait of both lived and perceived users’ experiences? Designs, 4(3). https://doi.org/10.3390/designs4030029