Notizen & Protokolle bei Usability-Tests
Die sorgfältige Dokumentation von Beobachtungen ist ein zentraler Bestandteil jeder Usability-Studie. Denn nur was systematisch erfasst wurde, kann auch analysiert, kommuniziert und in konkrete Designentscheidungen überführt werden. Notizen und Protokolle bilden dabei die Brücke zwischen beobachtetem Verhalten, Nutzerfeedback und methodischer Auswertung – sowohl in qualitativen als auch quantitativen Settings.
In der Praxis zeigt sich häufig: Wer gut dokumentiert, erkennt nicht nur mehr Usability-Probleme, sondern kann diese auch überzeugender kommunizieren. Ein typisches Szenario: Während eines Tests sagt eine Nutzerin beim Versuch, ein Formular abzusenden: „Ich weiß nicht, ob das wirklich abgeschickt wurde.“ – Wird dieser Satz wörtlich mit Kontext dokumentiert, dient er als evidenzbasierte Grundlage für Designverbesserungen im Bereich Feedbackgestaltung.
Warum eine strukturierte Dokumentation entscheidend ist
Usability-Tests produzieren eine Vielzahl von Eindrücken: beobachtetes Verhalten, gesprochene Gedanken (z. B. im Thinking Aloud), unerwartete Fehler, nonverbale Reaktionen oder technische Hürden. Diese Eindrücke sind oft flüchtig. Ohne strukturierte Notizen gehen sie verloren – insbesondere wenn mehrere Tests an einem Tag durchgeführt oder Ergebnisse im Team ausgewertet werden sollen.
Ein gutes Protokoll hilft, folgende Ziele zu erreichen:
- Nutzungserfahrungen nachvollziehbar machen – auch für Nicht-Anwesende
- Aussagen und Verhalten mit Zeitmarken verknüpfen
- Probleme, Frustrationen und Verbesserungsideen systematisch erfassen
- Auswertung und Kommunikation im Team und gegenüber Stakeholdern erleichtern
Formen der Beobachtungsdokumentation
In der Praxis haben sich drei Hauptformen etabliert – je nach Testdesign, Teamgröße und Auswertungsziel.
Freie Notizen
Die wohl flexibelste, aber auch unstrukturierteste Variante. Hier dokumentieren Beobachter:innen frei nach Bedarf, was ihnen auffällt. Das ist vor allem bei explorativen Tests hilfreich, z. B. in frühen Designphasen oder bei ungewöhnlichen Interaktionen.
Beispiel:
Ein:e Nutzer:in klickt wiederholt auf ein nicht-interaktives Label. Die Beobachterin notiert: „Wiederholtes Klicken auf Label > möglicherweise nicht als statisch erkennbar.“
Vorteil: Schnell, spontan, kontextnah.
Nachteil: Vergleichbarkeit und Auswertbarkeit sind eingeschränkt.
Standardisierte Beobachtungsbögen
Hier werden vordefinierte Aufgaben, Kriterien und Spalten verwendet. Die Dokumentation erfolgt entlang fixer Parameter wie „Erfolg“, „Fehler“, „Verständnis“, „Zeit“, „Zitat“. Das erleichtert die spätere Analyse und macht die Ergebnisse besser vergleichbar.
Typischer Aufbau:
Aufgabe | Erfolg (✔/✘) | Fehlerbeschreibung | Zitat | Kommentar |
---|
Praxisbeispiel:
Bei der Aufgabe „Produkt in den Warenkorb legen“ trägt die Beobachterin ein: ✘ | „Nutzer:in übersieht Warenkorb-Icon“ | „Ich dachte, das ist nur ein Bild.“ | → Icon-Design überprüfen.
Digitale Protokollformulare
Viele Teams arbeiten mit Tools wie Google Sheets, Airtable, Notion oder spezialisierten Plattformen wie Lookback oder Dovetail. Diese ermöglichen kollaborative Dokumentation in Echtzeit, Video-Annotation und Tagging – besonders nützlich bei Remote-Tests oder Team-Reviews.
Rollen im Testsetting
Je nach Setting können mehrere Personen an der Dokumentation beteiligt sein:
- Moderator:in führt durch den Test, bleibt möglichst neutral und beobachtet eher grob.
- Beobachter:in dokumentiert systematisch im Hintergrund, ohne die Testperson zu stören.
- Protokollant:in (optional) ist zuständig für Zeitstempel, Screenshots und das parallele Mitschreiben bei Remote-Sessions.
Im Idealfall stimmen sich alle Beteiligten im Vorfeld über Beobachtungsschwerpunkte ab – etwa die Interaktion mit einer neuen Filterfunktion oder das Verhalten beim Formulareinstieg.
Gute Praxis beim Notieren
- Beobachtung ≠ Interpretation: Statt „Teilnehmer ist frustriert“ besser: „Teilnehmer klickt dreimal auf denselben Button, seufzt hörbar.“
- Wörtliche Zitate sichern: Aussagen wie „Ich finde den Zurück-Button nicht“ sind Gold wert für die spätere Kommunikation.
- Zeitmarken notieren: Ideal zur Synchronisation mit Videoaufnahmen.
- Neutral bleiben: Keine voreiligen Bewertungen wie „macht Fehler“ oder „versteht nichts“.
- Kürzel und Symbole nutzen: ✔ ✘ ? 🕒 erleichtern die Übersicht – gerade bei mehreren Testdurchläufen.

Digitale Tools zur Unterstützung
- Lookback, UserZoom, Dovetail: Spezialisierte Plattformen mit Videoaufzeichnung, Markern, Tags und Kommentarfunktionen.
- Notion, Trello, Airtable: Ideal für kollaborative Beobachtung in Teams.
- Google Sheets/Excel: Klassiker für standardisierte Tabellen, auch mit Dropdown-Feldern und farblicher Codierung.
Fazit
Systematische Notizen und Protokolle sind das Rückgrat jeder fundierten Usability-Auswertung. Sie helfen, subjektive Eindrücke zu objektivieren, relevante Probleme sichtbar zu machen und Erkenntnisse teamübergreifend zu kommunizieren. Besonders in iterativen Prozessen sind gute Protokolle ein wertvolles Gedächtnis und eine argumentative Basis für Designentscheidungen. Wer hier sorgfältig arbeitet, legt den Grundstein für valide UX-Empfehlungen.
Usability-Testing und Dokumentation
Diese Literaturauswahl zeigt, wie Usability-Tests gezielt zur Verbesserung technischer Dokumentation beitragen können – insbesondere im sicherheitskritischen Bereich wie Medizinprodukte, aber auch in der Lehre und Softwareentwicklung.
The Role of Usability Testing and Documentation in Medical Device Safety
Beschreibt, wie sorgfältige Dokumentation in Kombination mit iterativen Usability-Tests hilft, Nutzungsfehler in medizinischen Geräten zu vermeiden.
Feinberg, S. G., & Feinberg, B. N. (2001). The role of usability testing and documentation in medical device safety. IEEE EMBC. https://doi.org/10.1109/IEMBS.2001.1019723
The Best of Both Worlds: Combining Usability Testing and Documentation Projects
Zwei Praxisbeispiele, wie Usability-Tests die Inhalte von Benutzerhandbüchern verbessern können – Fokus auf Feedback-Dokumentation.
Kantner, L., Rosenbaum, S., & Leas, C. (1997). The best of both worlds: combining usability testing and documentation projects. IPCC. https://doi.org/10.1109/IPCC.1997.637064
Usability Testing: Influencing Design Decisions and Improving Documentation
Verbindet Usability-Feedback mit iterativen Überarbeitungen von Nutzeranleitungen in einem technischen Studienprojekt.
Watt, A., Bernal, A., & Kirkpatrick, S. (2016). Usability testing: Influencing design decisions and improving documentation. ASEE.
PolyXpress Usability Testing
Empfiehlt strukturierte Notizen, GoPro-Videos und Screen-Capture-Aufzeichnungen zur systematischen Ergebnissicherung.
Erdie, C. (2013). PolyXpress usability testing. California Polytechnic State University.
Usability Testing
Grundlagenkapitel mit Fokus auf qualitative Protokollierung bei Low-Fidelity-Prototypen. Erörtert Rollenverteilung (z. B. Protokollführer).
Lazar, J. (2017). Chapter 10 – Usability testing. In Research Methods in Human-Computer Interaction. https://doi.org/10.1016/B978-0-12-805390-4.00010-8